Eigentlich war Phil Jungen, seit fünf Jahren Leiter Sportmedizin Nottwil, beim Panathlon Club Zürich eingeladen um über die Paralympics in Tokio zu reden. Die Spiele finden wegen Covid-19 erst 2021 statt. Zu erzählen hatte er trotzdem viel.

Schon der Lebenslauf des Swiss Paralympic-Arztes ist aussergewöhnlich. Aufgewachsen ist er in Papua Neuginea, einem Inselstaat im südwestlichen Pazifik mit sehr hoher Kriminalitätsrate. Als Jugendlicher kam er zurück in der Schweiz und absolvierte eine Maschinenschlosserlehre. Erst dann packte ihn die Medizin.

Phil ist ein geborener Erzähler. Er berichtet offen und ehrlich. So gab es in Südkorea bei den Paralympics pro vier Zimmer nur ein behindertengerechtes WC!  Wenn man weiss, dass Para- und Tetra-Athlet*innen 1,5 Stunden für eine Darmentleerung brauchen, dann ahnt man WIE schwierig das war. Phil Jungen erzählt: «Es gab einen WC-Plan. Der erste Athlet musste um zwei Uhr in der Nacht auf die Toilette. Nur so schafften wir es rechtzeitig bereit zu sein.» Man stelle sich das mal bei den olympischen Spielen vor!! Die Organisation liess auch sonst da und dort zu wünschen übrig. So stand  das Schweizer Team bei minus zehn Grad um 0730 vergebens vor dem Village und wartete auf den Bus.  Eine gefährliche Situation, denn Athlet*innen im Rollstuhl spüren die Kälte an ihren gelähmten Gliedern nicht, es drohten Erfrierungen.  «Schliesslich kam ein nichtbehindertengerechter Bus und wir mussten per Telefon Schweizer Betreuer*innen alarmieren um die Teammitglieder in den Bus zu tragen.»

Auch Doping war ein Thema. Behinderte Sportler*innen sind nicht besser oder schlechter als nicht behinderte. Es gibt allerdings spezifische Dopingmethoden:  «Man bricht dem Athleten ein Bein, dann saust der Blutdruck hoch. Denn der Körper reagiert, auch wenn der Sportler keinen Schmerz spürt.» Kurz vor dem Start im Callraum wird vor einem Wettkampf bei den Rollstuhl-Fahrer*innen der Blutdruck gemessen. Ist der obere Wert über 160 so darf der Athlet nicht starten (wird aber nicht gesperrt). Denn dies könnte ein Zeichen von «Boosting» sein. Das heisst, Athlet*innen kommen mit einer prallvollen Blase an den Start. Sie spüren wegen ihrer Lähmung keinen Harndrang. Aber sie gehen laut Phil Jungen mit dieser Methode «ab wie eine Rakete». Platzen könne die Blase nicht, aber es könnte eine gefährliche Nierenbecken-Entzündung entstehen.

Das Gespräch mit Phil Jungen war kurzweilig und spannend. Vielleicht sehen einige Zuhörer*innen künftig die Paralympic-Wettkämpfe mit anderen Augen.

 

 

Voyeurismus auf dem Wettkampfplatz

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